Was darfs denn bitte sein SSC, RACK ODER DOCH LIEBER PRICK?
BDSMler haben eine Unart allem und Jedem ein Etikett umzuhängen, vielleicht ist dies geboren aus dem Wunsch sich abzugrenzen oder irgendwas Besonderes sein zu wollen. Warum auch immer … ich greife heute auch mal in die Etikettenkiste oder anders gesagt aus der Knalltüte wird in gewisser Weise mal eine Aufklärbärin.
Da hier auch immer wieder Leute ohne oder mit wenig BDSM-Hintergrund mitlesen – was ich wirklich schätze – fang ich mal ganz von vorne an:
Eine Anfängerin auf dem Spielplatz sexueller Absonderlichkeiten fragte mich kürzlich nach dem Unterschied zwischen SSC und RACK und wo ich mich selbst da sehe. Ist nicht so, dass man da nicht auch das ein oder andere an beliebiger Stelle im Internet nachlesen könnte. Trotzdem will ich das Thema hier nocheinmal aufgreifen.
Nach Einschätzung meiner An- und Einsichten zu meinen Anfangszeiten vor zwei Jahren, haben sich doch so einige meiner Ansichten verändert und darum lohnt sich die eigene Auseinandersetzung mit den Grundlagen vielleicht doch.
SSC, RACK oder PRICK stehen für die Abgrenzung einvernehmlicher sexueller Praktiken aus dem BDSM-Bereich zu strafbarer sexueller Gewalt. Sie bilden sozusagen den moralischen Handlungsrahmen der Leidenschaft.
Das Grundprinzip SSC – spiegelt es vielleicht eine falsche Sicherheit?
Das englische „Safe, sane, consensual“ bedeutet „sicherheitsbewusst, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich“. Eine alternative und kürzere Übersetzung ist: „sicher, vernünftig und einvernehmlich“. Der Begriff stammt aus der Internet-Subkultur der 1990er Jahre.
SSC wird auch als Grundprinzip des BDSM bezeichnet, da es eine in der sadomasochistischen Subkultur weitgehend unumstrittene moralische Grundlage beschreibt. Die Sicherheit und Vermeidung von unerwünschten körperlichen und seelischen Schäden steht über der Befriedigung der Lust.
Die Grenzen des sadomasochistischen “Spiels” sind zwischen den beiden Partnern festlegbar, und es ist beiden bzw. allen Beteiligten klar, worauf sie sich einlassen. Dies setzt intensive Gespräche über Wünsche, Neigungen und Abneigungen sowie weitreichende Aufklärung über die medizinischen und psychischen Risiken und Gefahren voraus. In dieser hier in Idealform skizzierten Weise kann der Umgang mit potenziellen Risiken allerdings vielleicht von festen Partnern, selten jedoch bei anonymen Gelegenheitsbegegnungen umgesetzt werden. Dennoch lässt sich aus Szene-Beobachtungen konstatieren, dass SSC auch bei anonymen Begegnungen weitestmöglich Berücksichtigung findet.
Jede der drei Komponenten des SSC ist dabei individuell zu bewerten; es kann durchaus Spielarten geben, die von dem Einen als unsicher, dem Anderen jedoch als sicher bewertet werden. In so einem Fall würde derjenige, der sie als unsicher empfindet, sich nicht auf sie einlassen.
Die Entwicklung des Begriffs SSC wird häufig dem schwulen Lederaktivisten David Stein zugeschrieben, der ihn 1984 für die Gay Male S/M Activists (GMSMA) prägte. The Evolution of a Shibboleth, in welchem Stein darstellt, dass er den Begriff entwickelte, um „… die Art und Weise, wie ich SM praktizieren wollte, von der kriminell missbrauchenden oder neurotisch selbstzerstörerischen Art, die nur allzu oft mit dem Begriff ‚Sadomasochismus‘ in Verbindung gebracht wird, abzugrenzen.“
Das Grundsatzkonzept RACK – eine echte Alternative?
(risk-aware consensual kink)
RACK ist ein moralisches Verhaltensmodell für Handlungen und Spiele im BDSM-Kontext. Es steht in einem klaren Kontrast zum Konzept von SSC. RACK ist längst nicht so weit verbreitet wie SSC, es entstand als Alternativmodell, weil sich einige BDSM-Aktive mit dem Konzept des SSC nicht genügend identifizieren konnten.
Aus Sicht der RACK-Praktizierenden setzt ihr Konzept weniger auf nur schwer greif- und messbare und vor allem individuell variable Kriterien wie „Vernünftigkeit“ und „Sicherheit“. Stattdessen stellt RACK die Einvernehmlichkeit der Handelnden in den Vordergrund und verknüpft diese mit der individuellen Risikobereitschaft der Beteiligten.
Das Schwergewicht liegt also in hohem Ausmaß auf der Eigenverantwortung der Beteiligten und nicht auf einer von Dritten vorgenommenen absoluten Bewertung von Kriterien, die für individuelle Handlungen, Wünsche und Situationen nicht passgenau zu sein brauchen.
Grundlagen von RACK
SSC kann zunächst als lange gepflegte und etablierte universelle Konstitution sadomasochistischer Praktiken betrachtet werden. Es dient häufig als Modell und Basis für die Ausübung sadomasochistischer Praktiken und die Abgrenzung von strafrechtlich relevanter Gewalt. Dass SSC, auch in der Erweiterung SSCF (hierbei soll das für „Fun“ stehende „F“ dokumentieren, dass neben den drei Hauptaspekten auch der Faktor „Spaß“ berücksichtigt wird) aber auch begrifflich zu kurz greifen kann und einer Erweiterung bedarf, manifestiert sich aus Sicht der RACK-Anhänger an folgenden Widersprüchen.
Warum sollte etwas verwerflich sein, das einem objektiven Anspruch an Sicherheit zwar nicht genügt, wenn sich die beteiligten Spielpartner jedoch einig sind, es trotzdem praktizieren zu wollen?
Warum sollte etwas verwerflich sein, das einem Anspruch an logische Vernunft zwar nicht genügt, wenn sich die Spielpartner jedoch einig sind, es trotzdem praktizieren zu wollen?
Wenn aber dennoch von generalisierten Ansprüchen an Sicherheit und Vernunft ausgegangen werden soll, wer definiert und begründet diese, da doch die Beurteilung solcher Kriterien in erheblichem Ausmaß subjektiv ist?
Die Auflösung der Widersprüche liegt darin, dass als Basis sadomasochistischer Handlungen und als greif- und benennbare Abgrenzung zu juristisch relevanter Körperverletzung und sexuellen Straftaten nur die Einvernehmlichkeit existiert. Die „unscharfen“ Definitionen safe (sicher) und sane (vernünftig) werden diesem Prinzip untergeordnet. Hieraus folgt, dass RACK-Spiele zunächst weniger vernünftig und gefährlicher zu sein scheinen als solche, die auf SSC basieren.
RACK-Praktizierende führen in diesem Zusammenhang jedoch an, dass jede BDSM-Praktik, jedes „Spiel“ physische und psychische Risiken beinhaltet. Die Risiken sind von jedem Einzelnen der Beteiligten, von den ausgeübten Praktiken, vom Spielkontext selbst, von möglichen äußeren Einflüssen und zahlreichen weiteren Faktoren abhängig. Die Vorstellung, dass es geradezu unmöglich ist, alle potentiellen Faktoren in allen möglichen Konstellationen zu berücksichtigen und sich gegen hieraus resultierende Risiken abzusichern, führt hier zu der – zweifellos zutreffenden – Schlussfolgerung, dass bei BDSM-Aktivitäten immer ein Risiko besteht.
Im Mittelpunkt des RACK-Verhaltens-Modells steht daher das Bewusstsein um unwägbare oder auch konkrete Risiken sämtlicher BDSM-Aktivitäten und deren generelle Akzeptanz durch die Beteiligten. RACK-Praktizierende gehen die Risiken bewusst und einvernehmlich ein.
Häufig wird hierbei SSC keineswegs als ein „schlechtes“ Rahmenkonzept für BDSM-Spiele betrachtet, vielmehr führen RACK-Befürworter an, dass SSC nur partiell der Lebenswirklichkeit gerecht wird und möglicherweise sogar ein unzutreffendes Gefühl von „Sicherheit“ suggeriert; RACK hingegen soll aus dieser Sicht eine breitere, offenere und vor allem realistischer umsetzbare Basis für BDSM bieten.
PRICK – eine Mischung aus beidem?
(PERSONAL RESPONSIBILITY, INFORMED CONSENSUAL KINK)
Ein neuerer Begriff, der seit einiger Zeit vor allem in der englischsprachigen Gemeinde kursiert und die Eigenverantwortung betont.
Personal responsibility – Persönliche Verantwortung / Eigenverantwortung:
Man sollte tatsächlich für die Dinge Verantwortung übernehmen, die man tut. Ich persönlich halte das eher für ein Grundprinzip des Lebens, als das ich das explizit auf die Sexualität beziehen würde. Aber hier schliesst das auch die Verantwortung für die körperlichen, seelischen und emotionalen Folgen des sexuellen Handelns ein. Und dabei ist nicht nur die Wund- und Heilsalbe gemeint, sondern durchaus auch die Eigenverantwortung rechtzeitig Stop zu sagen.
informed – informiert
Bezieht sich im ersten Blick auf das „Fachwissen“ der Beteiligten. Ja, man kann sich eine Menge anlesen, aber die praktische Umsetzung hapert gelegentlich dann doch etwas. Problematisch wird es an Punkten in denen Neuland betreten wird, man weiss nicht wie das Gegenüber reagiert, wenn man etwas Neues ausprobiert. Emotional betrachtet. Mal von noch nicht dianostizierten Krankheiten ganz abgesehen – Himmel, ich rede wie eine Krankenschwester.
Daneben gibts natürlich noch CCC und SSCF und vermutlich eine ganze Reihe anderer lustiger Buchstabenrätsel. Wer suchet der findet.
UND ICH? Wo steh ich denn nun, mal völlig abgesehen von meiner notorischen Schubladenphobie?
Im Gegensatz zu meinen Anfangszeiten setze ich seit langem nicht mehr auf unterstützende Alphabetsammlungsattitüde und deren moralische Stützrädchen, sondern nehme mir die Elemente die zu mir passen und belasse es bei den anderen mit vernachlässigender Kenntnisnahme. Meiner Meinung nach muss jeder seinen ganz eigenen Weg, seine ureigene Ethik und seine persönlichen moralischen Maßstäbe finden.
Natürlich erkenne ich die universelle Bedeutung von SSC an, jedes Handeln sollte in irgendeiner Form auf eine ethische und allen Beteiligten bewusste Basis gestellt werden. Von daher gut als Kommunikationsbasis mit anderen BDSMlern geeignet. Das wars auch schon. Es greift mir nicht weit genug… insbesondere nicht in einer individuellen Beziehung.
PRICK ist für mich zu selbstverständlich, ich Dummerle erwarte doch tatsächlich von den Menschen, dass sie eigenverantwortlich handeln und sich überlegen, was sie tun, bevor sie es tun. Noch dazu setze ich ein Mindestmaß an Begeisterung voraus, das einen dazu bringt sich zu informieren, ehe man mal eben fröhlich mit Geist und Körper eines Menschen herumhantiert.
RACK scheint für mich am besten zu passen, hier wird der unvernüftige und deswegen oft besonders unterhaltsame Teil des BDSM nicht ausgeblendet, sondern unter dem Aspekt individueller Risikoabschätzung zugelassen. Die Beschäftigung mit den kurzgefassten Spielregeln ist durchaus hilfreich, um sich über seine eigene Position Gedanken zu machen. Eben weil für jemanden wie mich, der normalerweise nicht mit Safewords oder Ampelwörtern (verbale „Sicherungssysteme“ um die Beteiligten zu schützen) umgeht, grundsätzlich eben genauer hingeschaut wird und die Kommunikation vorher besonders wichtig gehalten wird. Meine Leitworte sind heute mehr denn je: Kommunikation, Wissen, Empathie, Vertrauen, Respekt, Beobachtungsgabe und Verantwortung und ich bin meinem Herrn dankbar dafür, dass es bei ihm genauso ist.